terminsvertreter strafverfahren

Von Detlef Burhoff
In der anwaltlichen Praxis sind auch im Strafverfahren Terminschwierigkeiten des Verteidigers bzw. Rechtsanwalts nicht selten. Wird dann ein Kollege beauftragt, einen Hauptverhandlungstermin für den eigentlichen Verteidiger wahrzunehmen bzw. den Verteidiger in seiner Funktion als Pflichtverteidiger zu „vertreten“, stellt sich die Frage, wie diese anwaltlichen Tätigkeiten des „Terminsvertreters“ vergütet werden. Die insoweit bedeutsamen Fragen werden in diesem Beitrag dargestellt.

I. Problemstellung

Diese Fragen stellen sich sowohl für den Wahlanwalt-/beistand als auch für den Pflichtverteidiger; in der Rechtsprechung spielen sie aber weitgehend nur bei der „Vertretung“ des Pflichtverteidigers eine Rolle. Die Fragen sind in Rechtsprechung und Literatur nicht unstreitig, wobei das Hauptgewicht des Streites bei der Frage liegt, welche Gebührentatbestände für den „Terminsvertreter“ entstanden sind.

Eine neue Problematik hat sich durch den im Zuge des „Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.2017 eingefügten § 141 Abs. 3 S. 4 StPO a.F. ergeben, der in den Fällen der richterlichen Vernehmung die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorsah. Die Problematik setzt sich nach den Änderungen durch das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ vom 10.12.2019 in Zusammenhang mit den §§ 140 Abs. 1 Nr. 4 und 10, 143 Abs. 2 StPO fort. Die damit zusammenhängenden Fragen sind dargestellt bei Burhoff, in: Burhoff/Volpert, RVG, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1673; aus der Rechtsprechung LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20; LG Magdeburg, StraFo 2018, 314 = AGS 2018, 341 AGS 2021, 427; AG Halle (Saale), AGS 2022, 311).

II. Vergütung i.d.R. nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG

Im Streit um die „richtige“ Honorierung der Tätigkeiten des „Terminsvertreters“ geht/ging es u. a. darum, ob im Strafverfahren Teil 4 Abschnitt 1 VV oder Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG anzuwenden ist. Diese Frage, die sich im Bußgeldverfahren (Teil 5 VV RVG) entsprechend stellt, ist in Rechtsprechung und Literatur inzwischen weitgehend geklärt.

Für die Frage, ob Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG oder Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG anzuwenden ist, ist darauf abzustellen, dass der als „Terminsvertreter“ tätige Rechtsanwalt für den beschränkten Bereich „voller Vertreter“ i.S.v. Vorbem. 4 Abschnitt 1 VV RVG ist. Die zutreffende h.M. in Rechtsprechung und Literatur geht daher zutreffend und weitgehend einig davon aus, dass i.d.R. Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG anwendbar ist (vgl. aus der Rechtsprechung der OLG zuletzt u.a. OLG Jena, AGS 2021, 394 = JurBüro 2020, 576; AG Halle (Saale), AGS 2022, 311; weitere Nachweise auf der umfangreichen Rechtsprechung bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn. 2103 und Vorbem. 4.1 VV Rn, 25 m.w.N. aus der Rechtsprechung der LG; Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, VV Einl. Vorb. 4.1 Rn. 12). A.A. ist soweit ersichtlich offenbar nur das OLG Rostock (RVGreport 2012, 186, s. auch noch OLG Köln, AGS 2007, 452, wo der Rechtsanwalt [aber] von vornherein ausdrücklich lediglich zur Wahrnehmung eines Haftbefehlsverkündungstermins anstelle des verhinderten [Haupt-]Pflichtverteidigers bestellt worden ist).

III. Vergütung ausnahmsweise nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG

Keine Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, sondern eine Abrechnung als Einzeltätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG hat nur dann zu erfolgen, wenn der Verteidiger dem anderen Rechtsanwalt ausdrücklich lediglich die (Einzel-)Vertretung des Angeklagten, z. B. in der Hauptverhandlung, überträgt. Dann handelt es sich um eine Einzeltätigkeit, für die dann nur die Verfahrensgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG entsteht. Weitere Gebühren erhält der so beauftragte Rechtsanwalt nicht. Diese Konstellation wird aber in der Praxis nicht häufig sein. Denn i.d.R. wird dem Rechtsanwalt grds. der volle Verteidigungsauftrag erteilt und nicht nur eine Einzeltätigkeit übertragen (KG, NStZ-RR 2005, 327 = JurBüro 2005, 536 = AGS 2006, 177; OLG Celle, StraFo 2006, 471; OLG Hamm, RVGreport 2006, 230).

Für diesen Rechtsanwalt entsteht insbesondere auch nicht die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG (OLG Düsseldorf, AGS 2009, 14; OLG Köln AGS, 2007, 452; OLG Schleswig, SchlHA 2007, 278; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4.3 Rn. 10).

Kennen Sie schon unser MkG-Magazin?

Im Magazin finden Sie weitere spannende Beiträge u. a. zum BAG-Urteil zur Arbeitszeiterfassung, zur Aktenverwaltung,
Fernsignatur und Rechtsschutzversicherung.

Hier gratis downloaden

IV. Gebührentatbestände

1. Allgemeines

So (weitgehend) unstreitig die Frage ist, ob Teil 4 Abschnitt 1 oder Abschnitt 3 VV RVG zur Anwendung kommt, so heftig umstritten ist, welche Gebühren der „Terminsvertreter“ abrechnen kann. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Frage, ob neben der Terminsgebühr die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und auch die jeweilige Verfahrensgebühr anfällt oder ob das Honorar auf die Terminsgebühr beschränkt bleibt. Insoweit wird z.T. geltend gemacht, dass für den Vertreter deshalb keine weiteren Gebühren als die Terminsgebühr entstehen können, weil der Vertretene auch nur die Terminsgebühr verdienen könne. Beim Pflichtverteidiger wird zudem noch darauf verwiesen, dass die Vertretung nicht zulasten der Staatskasse bzw. des Angeklagten gehen könne, der die Pflichtverteidigergebühren letztlich tragen müsse (Nr. 9007 KV GKG). In diesem Streit stehen sich letztlich „zwei Lager“ unversöhnlich gegenüber.

2. Auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr…

M.E. ist es nicht zutreffend, den „Terminsvertreter“ auf die Terminsgebühr zu beschränken. Vielmehr verdient er auch die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die gleichzeitig immer anfallende (jeweilige) Verfahrensgebühr. Denn auch der als Terminsvertreter tätige Rechtsanwalt muss sich als Verteidiger in den Rechtsfall einarbeiten (so zutreffend u.a. OLG Hamm, RVGreport 2006, 230; OLG Jena, AGS 2021, 394 = JurBüro 2020, 576; OLG Karlsruhe, StraFo 2008, 349; OLG Nürnberg, StraFo 2015, 39; LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20 m.w.N.; LG Magdeburg, AGS 2021, 427; AG Halle (Saale), AGS 2022, 311; AG Tiergarten, Beschl. v. 14.10.2022 – (278 Ds) 265 Js 277/22 (110/22); Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV. 4100, 4101 Rn. 5).

Das gilt auch im Fall der (teilweisen) Beiordnung/Bestellung des Rechtsanwalts als Beistand/Pflichtverteidiger. Auch dieser „Terminsvertreter“ ist voller  Verteidiger i.S.v. Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG (u.a. OLG München, NStZ-RR 2009, 32; RVGreport 2015, 106; LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20; AG Halle (Saale), AGS 2022, 311; AG Tiergarten, Beschl. v. 14.10.2022 – (278 Ds) 265 Js 277/22 (110/22)). Dass der Vertretene nicht auch (noch einmal) eine Grundgebühr erhalten hätte, ist unerheblich. Etwas anderes rechtfertigt sich nicht mit einem Hinweis auf § 5 RVG (so aber unzutreffend OLG Celle RVGreport 2009, 226; OLG Hamm, Beschl. v. 31.1.2015 – 5 Ws 367/14). Denn der anstelle des (verhinderten) Pflichtverteidigers beigeordnete Rechtsanwalt ist nicht Vertreter i.S.d. Vorschrift, sondern eigenständiger voller Verteidiger i.S.d. Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG. Eine Vertretung des Pflichtverteidigers ist wegen der Höchstpersönlichkeit der Pflichtverteidigerbestellung ausgeschlossen. Die abweichende Auffassung in der Rechtsprechung ist nach der eindeutigen Entscheidung des BGH in BGHSt 59, 284 m. Anm. Barton, StRR 2015, 62 nicht mehr haltbar (zutreffend daher OLG Saarbrücken, RVGreport 2015, 64 m. Anm. Burhoff StRR 2015, 117).

3. … oder nur Terminsgebühr?

Zum Teil wird aber vertreten, dass der „Terminsvertreter“ nur die Terminsgebühr erhalten/verdienen soll (KG, AGS 2006, 177; StraFo 2008, 349; NStZ-RR 2011, 295; OLG Brandenburg, AGS 2011, 280; OLG Hamburg, Beschl. v. 22.11.2011 – 1 Ws 94/11; OLG Hamm, Beschl. v. 31.1.2015 – 5 Ws 367/14; OLG Köln, RVGreport 2007, 306 = AGS 2006, 452; OLG Oldenburg, RVGreport 2015, 23; LG Koblenz, RVGreport 2020, 427; weiter Nachw. bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn. 2110). Dies ist falsch, weil sich (auch) der „Terminsvertreter“ einarbeiten muss und das Geschäft betreibt (Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG).

4. Einzelfalllösungen

In der Rechtsprechung der OLG wird z.T. auch auf den Einzelfall abgestellt (vgl. OLG Hamm, RVGreport 2009, 309). Danach soll es z. B. darauf ankommen, ob der Terminsvertreter an einem vollwertigen Hauptverhandlungstermin teilgenommen und eine umfassende Tätigkeit als Verteidiger entfaltet hat, die nach ihrer Bedeutung und dem tatsächlich geleisteten Aufwand einer Terminswahrnehmung durch den ordentlichen (Pflicht)Verteidiger gleichsteht. Ist das der Fall, wird dem Terminsvertreter ein Anspruch auf sämtliche im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zugestanden, also auch auf die Grund- und Verfahrensgebühr (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Noch einen anderen Weg geht das OLG Stuttgart (StraFo 2011, 198): Nach seiner Auffassung richtet sich die Frage, ob der „Terminsvertreter“ zum Vertreter i.S.v. § 5 RVG oder zum weiteren Verteidiger bestellt worden ist, nach dem Wortlaut der Bestellungsverfügung und den weiteren Umständen. Es spreche „die Bestellung von Rechtsanwalt X. für den heutigen Sitzungstag“ für den Status als weiterer Pflichtverteidiger. Dafür spreche auch, wenn sich der „Terminsvertreter“ in diese Sache habe einweisen lassen müssen und er ein Plädoyer gehalten habe (OLG Stuttgart, a.a.O.; ähnlich OLG Rostock, RVGreport 2012, 186).

V. Vergütungsfestsetzung (§ 55 RVG)

Im Fall der Pflichtverteidigung ist die Festsetzung der Vergütung grds. vom bestellten Rechtsanwalt zu beantragen.

Geht man davon aus, dass der „Terminsvertreter“ Vertreter des Pflichtverteidigers i.S.v. § 5 RVG ist (so [unzutreffend] OLG Celle, RVGreport 2009, 226; OLG Hamm, Beschl. v. 31.1.2015 – 5 Ws 367/14), steht ihm kein eigener Anspruch gegen die Staatskasse zu (OLG Koblenz, Beschl. v. 16.10.2012 – 2 Ws 759/12). Er kann „seinen Anspruch“ als Vertreter des Pflichtverteidigers deshalb grds. nur geltend machen, wenn Rechtsnachfolge z. B. durch Abtretung vorliegt (OLG Koblenz, Beschl. v. 16.10.2012 – 2 Ws 759/12). Davon wird mangels gegenteiliger Anhaltspunkte aber i.d.R. auszugehen sein (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.5.2010 – 6 W 151/06; OLG Celle, Beschl. v. 19.12.2008 – 2 Ws 365/08 u. 2 Ws 365/08; OLG Frankfurt am Main, NJW 1980, 1703; OLG Rostock RVGreport 2012, 186).

Geht man hingegen davon aus, dass (auch) der „Terminsvertreter“ eigenständiger Pflichtverteidiger ist, kann er in seiner Person die Festsetzung der Vergütung beantragen.

VI. Kostenerstattung

Wird der Angeklagte freigesprochen, stellt sich die Frage, ob und inwieweit die durch die Inanspruchnahme eines „Terminsvertreters“ entstandenen (zusätzlichen) Kosten erstattungsfähig sind. M.E. dürften hier die Regeln zur Erstattung der Kosten mehrerer Verteidiger Anwendung finden (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn. 1406 ff.).

Fazit:

Der Rechtsanwalt wird, wenn er eine Terminsvertretung abrechnet, die für ihn günstigere Variante wählen und Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr abrechnen. Es empfiehlt sich, den Gebührenansatz kurz zu begründen und darzulegen, welche Tätigkeiten für den Mandanten erbracht worden sind. Dazu gehört insbesondere der durch die Einarbeitung in die Sache entstandene Zeitaufwand.

Weitere Beiträge

Rechtsanwalt und RiOLG a.D. Detlef Burhoff ist Herausgeber, Autor oder Mitautor einer Vielzahl von Fachbüchern aus den Bereichen Strafrecht, Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht sowie der Rechtsanwaltsvergütung. Daneben ist er Herausgeber von Fachzeitschriften zu den vorgenannten Themen (StRR und VRR) und unterhält die Internetseiten www.burhoff.de sowie blog.burhoff.de.

Bild: Adobe Stock/©motorradcbr

Mit dem MkG-Newsletter erhalten Sie alle sechs Ausgaben pro Jahr
pünktlich zur Veröffentlichung per Mail – zu Themen, die Sie weiterbringen:

  • Aktuelle Gesetzesänderungen,
  • Tipps zur optimalen Abrechnung,
  • Karrierechancen, Kanzleiführung u. v. m.